Der stille Abschied der U55

Sie ist schon gar nicht mehr da, irgendwie hat das jeder auch einfach so hingenommen. Der heutige 1. Juni 2020 hätte eigentlich der letzte Betriebstag der Linie U55 sein sollen bevor sie endgültig für die Anbindung an die U5-Neubaustrecke fertiggestellt wird. Doch durch die aktuelle Weltlage wurde die Linie anlässlich der temporären Fahrplananpassungen zum 18. März eingestellt und seitdem auch nicht mehr in Betrieb genommen. Das wird nun auch so bleiben. Die U55 ist Geschichte und der Streckenabschnitt wird erst mit der Inbetriebnahme der U5-Verlängerung vom Alexanderplatz zum Hauptbahnhof wieder mit Fahrgästen befahren. Eine Erinnerung.

Rückblick

Berlins kürzeste U-Bahnlinie wurde am 08. August 2009 nach diversen Verzögerungen eröffnet und war der erste betriebsfähig fertiggestellte Bauabschnitt der U5-Verlängerung. Vom Brandenburger Tor über Bundestag zum Hauptbahnhof pendelte täglich alle zehn Minuten ein Zweiwagenzug auf einem Gleis hin und her. Es gab keine Signale entlang der Strecke, die aber auch nicht nötig waren, da immer nur ein Zug pendelte. Das zweite Gleis war an den Bahnhöfen mit einem Geländer versperrt und wurde nicht für Fahrgasteinsätze benutzt. Und so fuhren jahrelang die Züge hin und her und beförderten primär touristische Fahrgäste. Die Linie wurde dann doch irgendwann selbstverständlich und gehörte einfach zum U-Bahnnetz dazu.

Eigens für die U55 wurden vier F79-Einheiten (2658, 2660, 2668, 2674) für den Inselbetrieb vorbereitet und bekamen einen angepassten, helleren Innenraum, angelehnt am Corporate Design der BVG. Später würde man eine ähnliche Innenraumgestaltung auch in den ertüchtigten F74- und F76-Zügen wiederfinden. Von den F79-Zügen bekam allerdings kein weitere Zug diese Anpassung.

Dora ist zurück

Der Hammer schlechthin kam dann 2017, als wegen des zunehmenden Wagenmangels im U-Bahn Großprofil auf eine wirklich sehr außergewöhnliche Lösung zurückgegriffen wurde: Drei Einheiten der Baureihen D bzw. DL (alias Dora) wurden eigens für den Betrieb auf der U55 reaktiviert und aufwendig ertüchtigt. Die dadurch frei werdenden F79-Einheiten sollten das restlichen Netz verstärken. Eigentlich war die Baureihe D schon lange aus dem Fahrgastverkehr ausgeschieden. Der letzte DL-Zug fuhr 2004 im Fahrgasteinsatz. Die D57-Einheiten 2000 und 2020 (wohlgemerkt aus 1956 und 1957) waren hier und da als Sonderzug unterwegs und wurden gemeinsam mit DL68-Einheit 2246 dann für einen regulären Fahrgastbetrieb wieder fit gemacht. Auffälligste Neuerungen waren der neue Lack im BVG-Verkehrsgelb, neue Türtaster und LED-Türsignale bei den D57-Einheiten und die digitale LCD-Zielanzeige. Die Züge sollten vor dem Einsatz auf der U55 beklebt und als fahrende Dauerausstellung zur deutschen Demokratie unterwegs sein.

Im März 2017 fanden dann öffentliche Probefahrten der Einheiten 2000 und 2020 auf der U5 zwischen Frankfurter Allee und Hönow statt bevor die Züge in die Tunnelanlagen der U55 versenkt wurden.

Die Züge wurden nach der Ankunft auf der U55 abwechselnd eingesetzt, während bereits drei der vier F79-Einheiten rausgeholt wurden und schnell im restlichen Netz zu finden waren. Lediglich Einheit 2658 blieb. Schnell stellte sich auch heraus, dass eben dieser hinterbliebene F79-Zug auffällig oft einspringen musste, da die beiden Doras immer wieder Probleme diversester Art aufzeigten.

Am 22. November 2017 kam dann endlich auch die dritte Dora-Einheit zur U55. DL68-Einheit 2246 wurde wie die anderen Einheiten per LKW von Friedrichsfelde zum Hauptbahnhof gebracht und dann mit einem Kran versenkt. Ein Fahrgasteinsatz, tja, der kam einfach nicht. Technische Schwierigkeiten seien es gewesen. Lediglich an einem einzigen frühen Morgen war die Einheit für wenige Runden im Einsatz. Wirklich mitbekommen hat das leider niemand.

Sperrung zwischen Juni und Dezember 2018

Zwischen dem 4. Juni und 11. Dezember 2018 wurde der Betrieb auf der U55 eingestellt, um die Strecke für die Anbindung an die U5 vorzubereiten. So wurde die Strecke u.a. mit Teilen der Signaltechnik ausgestattet und die Tunnel sowie die Tunnelöffnung am Hauptbahnhof wurden zur Anlieferung von Baumaterial für die Neubaustrecke zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz benutzt, wo Gleise und Schotter verbaut wurden. Zu diesem Zeitpunkt war fast ausschließlich nur noch die F79-Einheit 2658 unterwegs, die tapfer durchgehalten hat. Ursprünglich war geplant, dass die drei Dora-Einheiten in Friedrichsfelde unterkommen und ggf. gewartet werden bevor sie zurück zur U55 gehen und die F79-Einheit 2658 zur Hauptuntersuchung geht bevor sie im restlichen Netz wieder eingesetzt wird. Tatsächlich aber kamen die D57-Einheiten 2000 und 2020 nie mehr zur U55 zurück und haben bis heute (Juni 2020) keinen weiteren Einsatz gehabt. Ebenfalls die F79-Einheit 2658 hatte an diesem Abend ihren aller letzten Fahrgasteinsatz, der im folgenden Video auch zu sehen ist. Sie wurde danach verschrottet, wie mittlerweile auch fast alle anderen F79-Einheiten.

FE-Zuverlässigkeit für die U55

Zum Ende der Sperrung wurden dann wieder Züge in die Tunnel hinabgelassen. Diesmal waren es drei frisch untersuchte FE-Einheiten (ex F76) (2558, 2602, 2622), die den Betrieb auf der Linie meistern sollten. Zusätzlich wurde auch die DL68-Einheit 2246 zur U55 gebracht. Ewig sollte es dann nicht mehr dauern bis ein Fahrgasteinsatz dieses Zuges zustande kommt.

Er fährt!

Sechs Monate später, am 11. Juni 2019, war es dann soweit: Nach gut 15 Jahren hat die DL68-Einheit 2246 wieder Fahrgäste befördert – fast zwei Jahre nachdem der Zug aus einem besonders schlechtem Zustand wieder fit gemacht wurde und zur U55 gebracht wurde. Von allen drei ertüchtigten Doras hatte dieser Zug wohl noch den größten Charme, u.a. da er auch die ursprüngliche Türschließeinrichtung mit Glühbirnen und dem typischen Abfahrtssignal behielt und nicht, wie die Einheiten 2000 und 2020 mit LED-Leuchten ausgestattet wurde. Der Fahrgasteinsatz des Zuges wurde mit großer Begeisterung bei den U-Bahnfans begrüßt. Tatsächlich wurde der Zug auch hin und wieder eingesetzt bis die Linie dann endgültig geschlossen wurde.

Und dann war Schluss

Dann ging’s schnell. Corona war da und die BVG passte aufgrund der umfangreichen Kontaktbeschränkungen ihr Fahrplanangebot an. Auf gut allen Linien war tagsüber ein Zehnminutentakt eingerichtet – das reichte zeitweise völlig aus, da kaum noch jemand mit der U-Bahn unterwegs war. Die U55 wurde dann gänzlich eingestellt und Pläne, die Linie nach Lockerungen der Beschränkungen wieder in Betrieb zu nehmen, verworfen. So war der 17. März der letzte Betriebstag der Linie, der so kurzfristig kam, sodass kaum einer bewusst noch ein letztes Mal die U55 besuchen konnte. Die Bahnhöfe wird man ja wiedersehen, spätestens wenn die U5-Verlängerung Ende des Jahres 2020 in Betrieb genommen wird und die Züge vom Alexanderplatz über die neuen Bahnhöfe Rotes Rathaus, Museumsinsel und Unter den Linden und vorbei an den ehemaligen U55-Bahnhöfen Brandenburger Tor und Bundestag zum Hauptbahnhof fahren. Doch diese Einzigartigkeit der kürzesten U-Bahnlinie der Stadt mit einer Fahrtzeit von 2,5 Minuten in eine Richtung, den grundsätzlich leeren Bahnhöfen und den Pony-Zügen, ja, das wird irgendwie auch fehlen.

Und die Dora-Züge – Es war schön, sie im regulären Fahrgasteinsatz erleben zu dürfen, jedoch kann die Reaktivierung der Züge für den regulären Einsatz auf der U55 definitiv nicht als Erfolg gewertet werden. Man kann jetzt nur hoffen, dass die Züge nicht wieder dem Zerfall überlassen werden, sondern sie gelegentlich für Sonderfahrten eingesetzt werden.

Die neue U5 kommt

Im November oder Dezember 2020 ist es dann soweit: Die U5 fährt vom Alexanderplatz weiter zum Hauptbahnhof. Die Fertigstellung der neuen Bahnhöfe und der Strecke läuft auf Hochtouren, erste Probefahrten finden schon bald statt. Lediglich der Bahnhof Museumsinsel wird aufgrund seiner besonderen baulichen Situation später eröffnet. Die Züge fahren dann erstmal ohne Halt durch. Im Februar 2020 wurde mit einem Richtfest die Fertigstellung des Rohbaus gefeiert, wonach der Ausbau des Bahnhofs zügig begonnen wurde.

Damit bekommt Berlin eine wichtige neue Verkehrsverbindung durch die Stadt und verbindet nun auch endlich den Hauptbahnhof sinnvoll mit dem U-Bahnnetz. Die U55 rückt dann schnell in die Vergangenheit, aber das ist auch gut so. Schließlich warten die Bahnhöfe Brandenburger Tor, Bundestag und Hauptbahnhof seit Jahren darauf richtig benutzt zu werden. Mach’s gut, U55.

Alles Beiträge dieser Seite zur U55 gibt’s hier.

Die U55 wird übrigens auch im Film „Die Berliner U-Bahn 2019 – vom Kommen und Gehen“ behandelt.

Fotos:

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